8. März 2024
Die Gottergebenen Männer und die Gottergebenen Frauen, die gläubigen Männer und die gläubigen Frauen, die rechtschaffenen Männer und die rechtschaffenen Frauen, die geduldigen Männer und die geduldigen Frauen, die standhaften Männer und die standhaften Frauen, die demütigen Männer und die demütigen Frauen, die Almosen spendenden Männer und die Almosen spendenden Frauen, die fastenden Männer und die fastenden Frauen, die Gott häufig gedenkenden Männer und Frauen – Gott hat ihnen (allen) Vergebung und großen Lohn bereitet. (33:35)
Der Vers 33:35, in dem Frauen und Männer voneinander unterschieden angesprochen werden, gilt als Beispiel für die Gleichstellung von Mann und Frau. Schon zu Lebzeiten des Propheten führten bedeutende Frauen eine Lebensordnung vor, die heute als „emanzipiert“ bezeichnet werden würde.
Das Leben Khadidschas gilt als Exempel in diesem Sinne.
Khadidscha war eine zweifach verwitwete und wohlhabende Unternehmerin in Mekka, als sie ihrem 15 Jahre jüngeren Angestellten Mohammed einen Heiratsantrag machte. Von zahlreichen Männern in der Stadt Mekka umworben, entschied sie sich damals für ihren ehrlichen und vertrauenswürdigen Mitarbeiter. Auch nach dem Tod Khadidschas blickte der Prophet sehnsüchtig auf die Beziehung mit ihr zurück. Während dieser – entgegen der seinerzeitigen Norm – blieb Khadidscha bis zu ihrem Ableben seine einzige Frau. Es war auch die einzige Ehe des Propheten, die Erben Mohammeds hervorbrachte (ohnehin bekam er nur ein einziges weiteres Kind aus seinen späteren Ehen – den Sohn Ibrahim, der bereits im Kindesalter starb).
Es wird überliefert, dass Mohammed und Khadidscha ein liebevolles Eheleben pflegten, in dem sich beide um die Kinder und den Haushalt kümmerten. Es war auch Khadidscha, die Mohammed den Rücken stärkte, als dieser auf dem Berg Hira die erste Offenbarung durch den Engel Gabriel erhielt. Mohammed zweifelte nach traditioneller Überlieferung an seiner psychischen Gesundheit, nachdem er den Engel vernommen hatte, der ihn mit den Worten „Lies im Namen deines Herrn, Der erschuf.“ (al-ʿAlaq: 1) als Gesandten beauftragte. Nach diesem Erlebnis befürchtete Mohammed, von Dschinn besessen zu sein, und wandte sich zuhause, bei seiner Ehefrau Khadidscha angekommen, an sie. Es war Khadidscha, die ihn beruhigte und die göttliche Herkunft der Botschaft bekräftigte. Sie könnte deshalb als erste Person überhaupt bezeichnet werden, die von der Offenbarung an Mohammed überzeugt war, noch vor Mohammad selbst.
Eine derartige Lesart der frühen (zum Teil noch vor-)islamischen Geschichte fand in vergangenen Jahrzehnten vermehrt Beachtung vonseiten islamisch-theologischer Strömungen, die als liberal oder feministisch bezeichnet werden. Doch stellt sich die Frage, inwieweit das Bild einer islamisch motivierten „Emanzipation“ der Frau haltbar ist.
Ein Moment von Emanzipation steckt sicher darin, dass sich Khadidscha eigenmächtig für ihren jüngeren „Angestellten“ als Ehemann entschieden hat, und dass beide gemeinsam die Kinder erzogen haben. Hier erschließt sich die Emanzipation aber erst im Vergleich mit bürgerlichen Gesellschaften: Die Lebensgeschichte von Khadidscha erinnert den westlichen Leser an das, was er als freie Liebeswahl in der bürgerlichen Ehe, als Monogamie und gleichberechtigte Arbeitsteilung bei der Kindererziehung kennt. Fraglich ist deshalb, inwieweit die Gesellschaft zur Zeit der mekkanischen und medinensischen Entstehungsphase des Islam mit Begriffen beschrieben werden kann, die erst mit dem bürgerlichen Recht Eingang in soziale Diskurse gefunden haben: Es stellt sich vor allem die Frage, ob die Beispiele für die Lebensgeschichten unabhängiger Frauen in der islamischen Überlieferung wirklich Beispiele für weibliche Emanzipation sind. Wortgeschichtlich verweist „Emanzipation“ auf das römische Recht: emancipatio („aus der Hand geben“) bezeichnet den Rechtsakt, mit dem ein Sklavenhalter die zu seinem Besitz gehörenden Gegenstände, zu denen die Sklaven mitsamt ihren Gütern zählten, in die Freiheit entlassen konnte – im Grunde also die freiwillige Entäußerung eines Teils des eigenen Besitzes. Erweitert bezeichnet „Emanzipation“ in der Geschichte des bürgerlichen Rechts die Aufkündigung von Vormundschaftsverhältnissen, sei es zwischen Ehemann und Ehefrau, Eltern und ihren (weiblichen) Nachkommen oder Grundbesitzern und ihrem Gesinde. Emanzipation ist also kein bloß psychologischer Akt der Loslösung des Mündels von seinem Vormund, sondern immer auch ein juristischer Akt.
Khadidschas Beziehung zu Mohammed war in diesem modernen Sinne sicherlich nicht „emanzipiert“. Auch führte Mohammed nach Khadidschas Ableben weitere Eheverhältnisse mit verschiedenen Frauen. Seine Handlungen aus Aussagen, die ihm bezüglich dieser Beziehungen zugeschrieben werden, bestimmen heute das traditionelle theologische Verständnis des zwischengeschlechtlichen Lebens. In zahlreichen Quellen wird dabei ein Ideal der Erscheinung, des Verhaltens und der Haltung der Frau im Islam dargelegt.
Wenn man Khadidscha als „Unternehmerin“ bezeichnet, wird damit ebenfalls ein bestimmter sozialer Stand und ein ökonomisch vermitteltes Verhältnis nahegelegt, die erst mit der bürgerlichen Gesellschaft entstanden sind. Bestand aber zwischen ihnen ein Arbeitsvertrag? Und wenn nicht, in welchem anderen Abhängigkeitsverhältnis stand er zu ihr? Welches Abhängigkeitsverhältnis trat durch die Liebeswahl an dessen Stelle? Auch diese Fragen werden eher ausgeblendet, indem die Beziehung zwischen Mohammed und Khadidscha in moderne Begriffe übersetzt wird. Außerdem sind gemeinsame Kindererziehung, freigewählte Treue usw. Phänomene, die ihrerseits bereits das Ergebnis der rechtlichen Emanzipation der Frau waren und sich teilweise lange nach Erringung des Frauenwahlrechts und anderer Bedingungen der Frauenemanzipation durchgesetzt haben. Der Stand der weiblichen Emanzipation zu der Zeit, in der Khadidscha lebte, ist aber nicht vergleichbar mit dem in der bürgerlichen Gesellschaft. Konnte Khadidscha ohne Zustimmung ihres Mannes Handel treiben, Güter erwerben, verreisen, sich frei bewegen oder sich trennen, ohne Sanktionen zu fürchten? Und in welcher Rechtsbeziehung stand sie zu ihren Eltern, vor allem zu ihrem Vater, von dem in den angeführten Stellen der Überlieferung nicht gesprochen wird? Insbesondere die Beziehung der Töchter zu den Vätern ist signifikant, um den Stand weiblicher Emanzipation in einer Gesellschaft beurteilen zu können.
Der Begriff emancipatio war von Beginn an doppeldeutig: Frauen können demnach ebenso emanzipiert werden, durch Neubestimmung ihres rechtlichen und sozialen Standes in die Freiheit entlassen werden, wie sie auch selbst diese Entlassung hervorbringen und erkämpfen können. Emanzipation ist demnach etwas, das Frauen ebenso erringen können, wie es ihnen geschehen, von anderen angetan werden kann. Um zu beurteilen, in welchem Sinne Khadidscha als emanzipierte Frau bezeichnet werden kann, wäre zu fragen, wie sich beide Aspekte des Begriffs der Emanzipation in der islamischen Überlieferung darstellen.
Diese Frage möchten wir auf der 2. Österreichischen Islamkonferenz (ÖIK) am 20. April 2024 diskutieren. Zu einem lebhaften Austausch hierüber laden wir bald ein. Bei Nachfragen und Interesse erbitten wir eine E-Mail an office@mfoe.info.